Prüfungsangst

Mir ist schlecht. In meinem Bauch schwirrt ein Schwarm mordlustiger Hornissen. Ich habe Druck auf der Brust, mein Herz schlägt zu schnell, ich bekomme schwer Luft. Die Angst lähmt mich, ich will rennen. Einfach davon rennen. Aber ich kann nicht. Ich hab mir die letzten 5 Jahre den Arsch aufgerissen in meinem Studium und meistens gute und sehr gute Noten bekommen. Ausnahmen bestätigen die Regel.

Prüfungsangst hatte ich schon immer. Nein, nicht schon immer. Ich glaube ich hab mich angesteckt da war ich in der Grundschule. Als es als unschick galt, nicht um Noten zu bangen, sondern das Urvertrauen zu haben, dass es schon eine gute Note wird. Wahrscheinlich hab ich am Anfang nur aufgehört offen zu sagen, dass selbstverständlich davon ausgehe gut zu sein. Irgendwann kam mal eine schlechte Note und ich hab mir selbst geglaubt. Scheitern ist seither eine permanente Bedrohung. Ich habe die 9. Klasse übersprungen, aber nur ein 2er Abi. Ich schaffe mein Studium in der Regelstudienzeit, habe für die Sprachanforderungen ein Jahr lang eine private Schule für alte Sprachen als  Propädeuticum besucht. Meine Klassenkameraden von früher haben seit drei Jahren einen Bachelor, arbeiten und haben tolle Autos. Ich habe ein kaputtes Fahrrad und ein Semesterticket.
Meine erste Black-out Situation hatte ich in Mathe. Alles was ich mühsam in meinen Kopf gestopft hatte war weg. Gewicht auf der Brust, Gehirn wie eingefroren, der Körper heiß und das Herz rast. Nichts. Panik wie bei einem Tier in der Falle.
Das blöde am Studium ist, dass es nicht reicht im Durchschnitt das Jahr zu schaffen. Nein, in jedem verdammten Kurs muss man es schaffen. Möglichst gut. Alles zählt ins Endergebnis. Kein zurückstellen der Uhr auf Null am Beginn eines jeden Semesters. Nein, es heißt leben, lernen weitermachen. Alte Fehler kann man nicht ausbügeln auch wenn man es inzwischen besser weiß. In 29 Tagen habe eine Stunde um drei Menschen zu erzählen was ich in fünft Jahren Anglistik Studium gelernt habe. Drei Menschen die mir zuhören werden, die meine Leistung, meine Präsentation beurteilen werden. Drei Menschen die sich auf eine Zahl einigen müssen die dann meine letzten fünft Jahre definieren wird. Die meine Chancen auf dem Arbeitsmarkt bestimmen wird. Wenn ich darüber nachdenke krampft mein Magen. Habe ich zu viel Kaffee getrunken oder bekomme ich vor Stress schon ein Magengeschwür? Geht das? Ein Magengeschwür mit 24? Leistungen in einer Prüfung sind so wahnsinnig subjektiv. Wie oft habe ich erlebt, dass ich Menschen die mehr wussten als ich mit schlechten Noten habe aus Prüfungen gehen sehen weil sie sich durch den Prüfer haben aus dem Konzept bringen lassen, weil sie nicht ausreden durften, weil die Sympathie nicht stimmte. Immer wieder danke ich meinem jüngeren Ich, dass ich früher Theater gespielt habe. Lampenfieber schön und gut. Aber egal wie aufgeregt man ist, sobald der Vorhang hoch geht muss die Präsenz und die Rolle voll da sein. Ich absolviere keine Prüfungen, ich spiele jemanden der eine Prüfung absolviert. Ich lege den Schalter um und spiele mein Selbstbewusstsein, halte Augenkontakt mit dem Publikum und nutze Pathos um es zu manipulieren. Mein Größte Angst ist, dass ich den Text vergesse und da ist keine Souffleuse am Bühnenrand. Oder dass jemandem meine Performance nicht gefällt und wahlweise Kommentare, Zwischenfragen oder Tomaten einwirft die nicht im Skript standen.
Ich lerne seit Wochen für diesen großen Auftritt und je näher ich dem Biest komme und so fester hat mich die Angst im Griff. Beim Frühstück, wenn ich versuche Einzuschlafen und in diesem Moment. Was ist wenn ich es nicht schaffte ein Staatsexamen mit einer 1 vor dem Komma zu schaffen? Ich will einen Job und bei meiner Kombination hat Durchschnitt wenig Chancen. Ich liebe meine Fächer -ich lebe sie sogar. Die anderen scheinen immer mehr und besser zu lernen als man selbst. Aber vielleicht spielen auch sie nur eine Rolle. Vielleicht hat Shakespeare recht. Vielleicht ist die ganze Welt nur eine Büne und Männer und Frauen nur Schauspieler. Das hieße dann aber auch, dass nicht ich diese Note bin, sondern meine Bühnenpersona. Aber egal wie, ich muss noch einen Monat hart arbeiten und dann zeige ich ihnen hoffentlich die Show meines Lebens.

Angst habe ich trotzdem.

Liebe Grüße,

Katha